Titel
Demokratie und Verfassung in der V. Republik. Frankreichs Weg zur Verfassungsstaatlichkeit


Autor(en)
Vogel, Wolfram
Reihe
Frankreich-Studien, Band 4
Erschienen
Anzahl Seiten
347 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für höhere Studien, Universität Leipzig

Ausgangspunkt dieser Arbeit ist der Zweifel, den Raymond Aron 1959 mit Blick auf die gerade eingeführte Verfassung der Fünften Republik hinsichtlich ihrer Demokratie-Kompatibilität äußerte. Gegen diese Skepsis stellt der Verfasser seine These, gerade mit dem gaullistischen Konstitutionalismus hätten "Demokratie und Verfassung [...] in der Fünften Republik zum ersten Mal so zusammen[gefunden], daß sich behaupten läßt, Frankreich habe sich auf den Weg zur Verfassungsstaatlichkeit begeben" (S. 17).

Gründe für diese leitende Idee, die gleich eingangs den Rang eines nur noch zu verifizierenden Postulats erhält, wo man zunächst eine aus der Forschungslage abgeleitete Hypothesenbildung erwartet hätte, sieht Wolfram Vogel erstens in der Aufwertung des Verfassungsprinzips in der Verfassung selbst qua Durchbildung einer Normenhierarchie, zweitens in der Entstehung einer Verfassungsgerichtsbarkeit und drittens in einem sich immer mehr stabilisierenden Verfassungskonsens in der französischen Gesellschaft. Damit habe Frankreich, das zwar seit 1789 Volkssouveränität und die Begrenzung staatlicher Macht durch Verfassungsorgane kenne und insofern eine lange Demokratietradition besitze, das Niveau der Verfassungsstaatlichkeit erreicht, auf dem die USA bereits 1776 angekommen waren, denn nun endlich sei es gelungen, das zur politischen Instabilität drängende Demokratie-Postulat zugunsten einer vollständigen Legitimierung des gesellschaftlichen Systems aus dem Verfassungsprinzip zurückzudrängen: Das normative Endziel ist erreicht, denn "Demokratie hat nur als Verfassungsstaat Bestand, nur so kann sie Freiheit und Sicherheit ihrer Bürger gewährleisten" (S. 18).

Man mag solche Überlegungen teilen oder einen anderen Blick auf die französische Geschichte und die Vorzüge bzw. Nachteile der fundamentalen Einschränkung des Demokratie-Prinzips durch eine gerichtlich autorisierte Verfassungsauslegung entwickeln, in jedem Falle ist es zu begrüßen, dass der Autor seine Annahmen am Anfang der Arbeit, die als politikwissenschaftliche Dissertation bei Peter Graf Kielmannsegg entstand, deutlich vorstellt, um daran eine Darstellung anzuschließen, die zunächst ihr Verständnis von Verfassungsstaatlichkeit am Vergleich mit der deutschen Verfassung der Weimarer Republik und der amerikanischen Verfassung expliziert, um dagegen dann die französische Verfassungstradition zwischen 1789 und 1958 knapp Revue passieren zu lassen.

Es folgt darauf der eigentlich materiale Teil des Buches, die Rekonstruktion der Intentionen, die die Verfassungsväter von 1958 leiteten, die Herausbildung der Verfassungsgerichtsbarkeit über die schwierige Emanzipation von de Gaulle, die Reform von 1974, die stärkere Ausprägung der Urteile des conseil constitutionnel in den 80er Jahren bis zum Einfluss der europäischen Einigungsverträge von Maastricht 1992. Hierauf folgt ein Kapitel über die Vertiefung des Verfassungskonsenses in Frankreich seit den 50er Jahren mit der Akzeptanz der von de Gaulle geschaffenen Institutionen auch durch die Linke. Die Erfahrung der alternance seit den frühen 80er Jahren auf Grundlage ein und derselben Verfassung vertiefte diesen Konsens.

Am Ende gelangt der Autor zu zwei Fragen, die eine vertieftere Behandlung verdienen. Zum einen lässt sich eine so austarierte Balance der Institutionen in der Fünften Republik ausmachen, dass die Freude über ihre Erschütterungssicherheit inzwischen auch Konservative Sorge tragen lässt, ob nicht Stabilität längst in Lähmung übergegangen sei, wo Europäisierung und globale Öffnung deutlich höhere Elastizität verlangten. Zum anderen vermutet Vogel vor dem Hintergrund einer deutschen Perspektive auf den postnationalen Verfassungsstaat eine langsame Verwandlung Frankreichs, in dem nicht mehr vorrangig von der Nation, sondern von der Verfassung soziale Integrationskraft ausginge. Ob damit schon die Grundlage für eine rasche Verständigung von Deutschen und Franzosen auf eine europäische Verfassung gelegt ist, wird man an der Arbeit des Konvents unter der Leitung Giscard d'Estaings in allernächster Zeit überprüfen können.

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